Bäume, die einen Ort begründen

Bäume prägen einen Ort, so wie seine Häuser und Menschen. Daher sollten wir unsere stummen Begleiter über reine Sicherheitsbelange hinaus denken.

Frühjahr 1908. Eine Prozession auf der heutigen Bundesstraße, rechts geht es in die Bahnhofstraße. In der Bildmitte zwei schlanke, hohe Bäume. Es sind die beiden Pappeln beim Rinnerkreuz, gepflanzt irgendwann im späten 19. Jahrhundert.

Seit mindestens fünf Generationen stehen beim Rinnerkreuz zwei Pappeln. Stumme Begleiter der Menschen im Ort. Auch mich haben sie begleitet. Mein Schulweg führte an den beiden Bäumen vorbei, zwölf Jahre lang, durch alle Jahreszeiten hindurch. Für mich sind es mehr als zwei Bäume – es sind lieb gewonnene Erinnerungen, zwei Orientierungspunkte, die immer schon da gewesen sind.

„Dieses Gefühl macht uns ruhig“

Der berühmte Schweizer Architekt Peter Zumthor hat einmal gesagt: „Ich verstehe unter Heimaten Gebäude, die einen emotionalen Wert haben, weil sie an ihrem Ort verankert sind und diesen Ort begründen. Solche Bauten vermitteln uns das Gefühl, irgendwo dazuzugehören. Dieses Gefühl macht uns ruhig. Nimmt man uns zu viele dieser Häuser weg, wird es ungemütlich.“ (Der Spiegel 50/2010) Für Bäume gilt dasselbe.

Das Spiegelhaus an der Ecke Bundesstraße / Lange Gasse (abgebrannt). Ein altes Haus, wie es sie einmal zahlreich gab in Wattens. Fast immer steht da ein Baum. Haus und Baum, sie bilden eine Einheit. In früheren Zeiten hatten die Menschen eine direktere Beziehung zur Natur. Nicht weil sie übermäßig romantisch gewesen wären: Sie konnten nicht anders.

„Von blühenden Obstbäumen umgeben“

„Wattens liegt in einer heiteren, fruchtbaren Lage und ist von blühenden Obstbäumen umgeben.“ So steht es in einem Werbeprospekt um 1900. Die alten Obstgärten sind weniger geworden. Aber auch heute gibt es Menschen, die den Wert von Bäumen nutzen und hochhalten – nicht weil sie müssen, sondern weil sie wollen: den Obst- und Gartenbauverein zum Beispiel. Oder Bürgerinnen und Bürger mit kleinen und großen Gärten, die dort Obstbäume hegen und pflegen. Die Streuobstwiese von Swarovski ist ein junges Beispiel dafür, wie man auf altem Wissen in die Zukunft gehen kann.

Natur ins Dorf holen

Die Sehnsucht nach Natur ist ungebrochen. Wir stillen sie besonders in den Bergen. Aber auch im Siedlungsgebiet macht sich nach Jahrzehnten der mitunter unseligen Dorfversiegelung ein Umdenken bemerkbar. Baumschnittkurse sind ausgebucht, viele Städte und Gemeinden pflanzen Bäume in großem Stil. Die Abteilung Dorferneuerung des Landes Tirol fördert Natur in Dörfern und Obstoasen.

Die Gemeinde Wattens hat 2021 einen Baumkataster anlegen lassen, in dem alle 800 Bäume im Ortsgebiet erfasst sind – ein „maßgebendes Mittel für die nachhaltige Entwicklung eines gesunden, verkehrssicheren Baumbestandes“ (R19, September 2021). Der Baumkataster ist ein guter Ausgangspunkt, um die Gemeinde schadlos zu halten und für einen gesunden Baumbestand zu sorgen. Nun gilt es, unsere stummen Begleiter über die Sicherheit hinaus zu denken.

3 Kommentare

  1. Lieber Alexander, es freut mich als Obmann des OGV WATTENS dass du unseren Verein als pos. Beispiel in deinem Beitrag erwähnst. Wir im Verein helfen den Wattener Bürgern mit guten Ratschlägen bei der Obstbaumpflege.

  2. In meiner norddeutschen Heimat gibt es schon seit langem einen Baumkataster, der auch Bäume auf privaten Grundstücken erfasst. Bäume, die mehr als 30 cm Durchmesser haben, dürfen ohne Genehmigung der Katasterbehörde nicht entnommen werden. Bei Zuwiderhandlung drohen Strafen und es müssen Ausgleichsflächen mit Bäumen bepflanzt werden. So schützt man den Baumbestand. Ausgenommen von dieser Regelung sind Flächen (Wald) für Nutzholzbewirtschaftung. Bei Straßenbauarbeiten werden die Alleebäume zum Schutz eingehaust! Bei Schäden an Bäumen durch Verkehrsunfälle kommt ein Baumdoktor, der den Schaden begutachtet. In den meisten Fällen wird der Baum mit einem Schutzanstrich zu seinem Erhalt „verarztet“. Nur im allergrößten Notfall wird der Baum entnommen, aber sofort ein neuer gepflanzt.

    • Lieber Herr Karl,
      es ist erfreulich was sie aus Ihrer Heimat berichten. Auch bei uns gibt es in einem Kataster erfasste u. gekennzeichnete Naturdenkmäler. Das kümmert aber die vorwiegend am Inn „wütende“ Biberpopulation wenig. Am Radweg vom Gasthaus Badl in Hall bis Volders zählte ich neuerdings nur am Südufer etwa 160 vom Biber benagte oder gefällte Bäume (Dm. 15 – 80cm). Wieweit auch das Wattner Innufer betroffen ist sollte noch erforscht werden.

Kommentare sind geschlossen.